Wildhasen auf königliche Art: Ein Erlebnis der kulinarischen Trauer

Georg Etscheit hat sich als Jugendlicher mal den Magen verdorben. In einem Gourmetrestaurant im Elsass nahm er neulich jedoch seinen ganzen Mut zusammen und bestellte Wildhase auf königliche Art. Die Geschichte, die ihn seither davon abhält, das Fleisch von Hasen und Kaninchen zu verzehren, trug sich auf der Insel Ischia zu, wo er im Alter von vielleicht 15 Jahren einen Osterurlaub verbrachte. Am Abend vor der Heimreise wollte sein Vater unbedingt „Coniglio alla cacciatore“ essen, also Kaninchen in einer südländischen Sauce aus Tomaten, Olivenöl, Knoblauch, Oliven und Rosmarin. Die Sauce war eine recht fettige Angelegenheit, die in der Nacht zu Übelkeit führte. Die Überfahrt nach Neapel mit dem Aliscafo, einem Tragflügelboot, wurde durch den Golf von Neapel sehr bewegt an diesem Morgen. Seither habe er nie mehr ein Kaninchen oder einen Hasen angerührt.

Bis er jüngst bei einem Besuch im berühmten Gourmetrestaurant Auberge de l’Il in Illhaeusern im Elsass, auf ein Gericht aufmerksam wurde, dass er auch in Paul Bocuses Küchenbibel „Die neue Küche“ gefunden hatte. „Lièvre à la royal“, also Hase auf königliche Art, bei Bocuse, der die Speise wiederentdeckt haben soll, prunkvoll firmierend unter „Lièvre à la royale du sänateur Couteau“. Dazu ein Foto, das das gebratene Tier samt Kopf entspannt liegend in einer Kupferkasserolle zeigt, übergossen mit einer glänzenden, braunen Tunke, die an flüssige Schokolade erinnert. Ein bisschen zombiemäßig. Nichtsdestoweniger ein absoluter Klassiker der französischen Grande cuisine und wegen seiner aufwändigen Herstellung und seiner Deftigkeit nur noch sehr selten auf Speisekarten anzutreffen.

Für die häusliche Küche dürfte dieses Gericht weniger geeignet sein, allein das Entbeinen des Tieres wird Hobbyköche überfordern. Es gibt allerdings auch etwas einfachere Zubereitungsweisen, bei denen man den Hasen nicht intakt lässt, sondern das abgelöste Fleisch zu einer Art Roulade formt. Doch der Aufwand für das Parieren und die Herstellung der Farce und der Sauce ist in jedem Fall enorm.

Angeblich war der Hase königliche Art Ludwig XIV. zugedacht. Das Fleisch habe sein Leibkoch in Versailles deswegen so lange gekocht, damit es der Monarch mit seinem miserablen Gebiss problem- und schmerzlos essen konnte. Bis heute sei es daher Pflicht, dieses Gericht mit dem Löffel zu genießen, was bei meinem Besuch in der Auberge de l’Ill glücklicherweise nicht verlangt wurde. Mit dem Löffel isst man Suppen, vielleicht ein Dessert und sonst gar nichts.

Wie die meisten kulinarischen Anekdoten dürfte die Geschichte vom bemitleidenswerten Sonnenkönig eine Mär sein. Wahrscheinlich handelt es sich bei dem Schmorhasen um ein Gericht der deftigen, ländlichen Küche des Périgord und Poitou, worauf auch die große Menge an Knoblauch und Schalotten hindeutet, die bei dessen Zubereitung verwendet werden – Bocuse verordnet nicht weniger als 30 Knoblauchzehen und 60 Schalotten! Die lange Schmorzeit ergibt sich aus der Tatsache, dass das Fleisch eines Wildhasen von Natur aus sehr trocken, weil ausgesprochen fettarm ist. Und einer saftigen Füllung, einer Bardierung mit Speck und langer Garzeit bedarf, um zur Delikatesse zu werden.

Auf zwei Flaschen sündteuren Chambertins, wie von Bocuse ebenfalls vorgeschrieben, sollte man getrost verzichten, wenn man nicht selbst zu den Royals zählt.

Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.