Erstaunliche Wende: Die Linke erobert die Wahlumfragen zurück
Berlin. Vor nicht allzu langer Zeit befand sich die Linke in einer tiefen Krise, doch jetzt zeichnet sich ein unerwartetes Comeback ab, das einen möglichen Einzug in den Bundestag ermöglicht. Wie ist dieser bemerkenswerte Wandel zu erklären?
Im November vergangenen Jahres wurden im Karl-Liebknecht-Haus besorgte Gesichter sichtbar. Nachdem die Ampelregierung zerbrach, dümpelte die Linke bei drei bis vier Prozent und das Überwinden der Fünf-Prozent-Hürde schien kaum vorstellbar. In dieser prekären Lage wurde die „Aktion Silberlocke“ ins Leben gerufen. Die Partei hoffte darauf, über die Grundmandatsklausel in den Bundestag einzuziehen, die es ermöglicht, durch den Gewinn von drei Wahlkreisen direkt ins Parlament zu gelangen. Dies gelang bereits 2021, als die Linke trotz des Scheiterns, die Fünf-Prozent-Marke zu erreichen, durch die Direktmandate von Gregor Gysi, Gesine Lötzsch und Sören Pellmann ins Parlament einziehen konnte.
Die Hoffnung war groß, dass die erfahrenen Politiker Dietmar Bartsch, Bodo Ramelow und Gregor Gysi, vereint als die „Silberlocken“, das Ziel erneut verwirklichen könnten. Doch es zeigte sich, dass die drei möglicherweise nicht mehr nötig sind. Denn die Umfragen steigen rapide; das Institut YouGov prognostiziert aktuell sogar neun Prozent für die Linke.
Wie kam es zu diesem Aufschwung? Der entscheidende Wendepunkt könnte der Austritt von Sahra Wagenknecht im Oktober 2023 und die Abwanderung zahlreicher prominenter Parteimitglieder zu ihrem neuen Bündnis gewesen sein. Zuvor schien die Linke in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, insbesondere nach der dramatischen Stimmenverluste in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, wo sie an die neue BSW verlor.
Im Rückblick sieht Politikwissenschaftler Gero Neugebauer den Austritt von Wagenknecht jedoch als Chance: „Der Konflikt innerhalb der Partei hat nach ihrem Abgang stark an Gewicht verloren.“ Dadurch könnte die Linke zu ihrem früheren Image als Kümmerpartei zurückkehren.
Neugebauer hebt die neuen Vorsitzenden Jan van Aken und Ines Schwerdtner hervor, die seit Oktober an der Spitze stehen und nicht mit den alten Machtkämpfen der Partei belastet sind. Ihr Ziel ist es, die Partei für den kommenden Wahlkampf zu mobilisieren. Die gescheiterte Regierungskoalition hat der Linken neue Energie verliehen. Insbesondere die Brandmauerdiskussion, bei der sich CDU/CSU, FDP und AfD auf einen gemeinsamen Fünf-Punkte-Plan für Migration einigten, verstärkte das Gefühl, dass die Linke sich als Verteidigerin gegen den Rechtsextremismus positionieren kann.
Ein Wendepunkt war die „Brandmauerrede“ von Heidi Reichinnek im Bundestag, die auf Social-Media-Plattformen große Beachtung fand. Dennis Steffan, Wahlkampfforscher an der Freien Universität Berlin, erklärt, dass die Linke es geschafft hat, auch in den sozialen Netzwerken Fuß zu fassen. Ihre Präsenz auf Plattformen wie TikTok begeistert jüngere Wähler, da sie humorvoll und mit zeitgemäßen Mitteln kommunizieren.
Die klare Abgrenzung zur politischen Rechten erweist sich als weiteres Erfolgsrezept. Die Linke kann sich, im Gegensatz zur SPD und den Grünen, auf eine klare, ideologische Linie konzentrieren, wodurch sie die Möglichkeit hat, die Wähler im klassischen Sinne zu überzeugen. Durch Angebote wie Mietberatungen und Heizkostenchecks realisiert sie einen echten Mehrwert für die Wähler.
Die Abgrenzung zum BSW, das derzeit schwächelt, geschieht auch über die kritische Haltung zur Ukraine-Krise. Die Linke befürwortet eine diplomatische Lösung und spricht sich gegen einen unverhältnismäßigen Druck auf die Ukraine aus, was bei den jüngeren Wählern Anklang findet.
Das Interesse junger Menschen an der Partei wächst spürbar. Bundesgeschäftsführer Janis Ehling berichtet von bis zu 2000 Neueintritten pro Woche. Diese neuen Mitglieder suchen soziale Politik, die sie bei der SPD und den Grünen vermissen.
Eine spannende Frage bleibt, ob die neue Strategie auch über die Bundestagswahl hinaus Bestand haben kann. Experte Steffan stellt fest: „Es wird entscheidend sein, wie sich die Koalitionsverhandlungen gestalten. Eine Abgrenzung zur SPD und den Grünen würde der Linken helfen, sich als erklärte Vertreterin sozialistischer und antifaschistischer Werte zu präsentieren.“ Bis dahin kann sich die Linke auf ihren neu gewonnenen Rückenwind freuen.