Sprachnachrichten und ihre Tücken
Peter und ich hatten uns für einen Angelausflug verabredet. Der Plan war, uns heute um 15 Uhr zu treffen. Um 13 Uhr erhielt ich dann eine Sprachnachricht, die, ganz dem ungekrönten König der privaten Podcasts entsprechend, stolze neun Minuten und 46 Sekunden dauerte.
Die älteren Generationen unter uns – jene, die in ihrer Kindheit noch „Käptn Nuss“ auf Kraft bestaunen konnten – erinnern sich vielleicht an die Zeit, als ein einfaches Telefon unseren Kontakt zu abwesenden, aber lebenden Menschen erleichterte. In vielen Haushalten war ein unschönes Gerät mit einem verworrenen Kabel, einem Hörer und einer Wählscheibe – auf der die Zahlen von Null bis Neun zu finden waren – das A und O. Später wurde dieses Wählscheibenmodell durch eine Tastenvariante ersetzt, die auch noch ein Sternchen- und ein Rautesymbol beinhaltete.
Mit diesen Telefonen konnten wir Menschen anrufen, die weit entfernt waren, aber nur, wenn wir auch ihre Telefonnummer kannten. Die Telefonnummern ließen sich im „Telefonbuch“ finden, das so manche Romeo bei der Kontaktaufnahme mit seiner Julia auch mal zur Hand nahm. Die Eltern waren meist in diesem dicken Nachschlagewerk aufgeführt, das oft mit „AAAAAAA-Schlüsseldienst“ begann.
Dann kamen die Mobiltelefone. Diese schweren Klötze mit massiven Batterien und Antennen ermöglichten es Geschäftsleuten, in einem Café in Dresden nicht nur so zu tun, als ob sie telefonierten, sondern auch tatsächlich zu kommunizieren – allerdings häufig noch in einem begrenzten Netz.
Schließlich erblickte das „Handy“ das Licht der Welt. Klein, handlich und weitaus günstiger. Wer nicht telefonieren wollte, konnte „Snake“ spielen, sich etliche Klingeltöne bei Jamba im Abo zulegen oder mit einem Pager arbeiten, der einem Nachrichten übermittelte, ohne dass die große Gefahr bestand, bei der Hamas zu sein. Schon bald waren auch kurze Textnachrichten möglich, und später konnte man gar Fotos verschicken.
Und dann kam das Smartphone. Telefonieren wurde zur Nebensache, und mit der Einführung von Messenger-Diensten konnten Nachrichten gar in Essaylänge versendet werden. „Wo bist du?“ schien aus der Mode gekommen zu sein. Zudem kann der heutige Kontaktinteressierte sogar Videoanrufe tätigen – ideal, um den ungekämmt und unrasiert erschienenen Versicherungsvertreter beim ersten Kaffee zu sehen.
Der Höhepunkt dieser Kommunikationsentwicklung ist jedoch das Versenden von Sprachnachrichten. Für diejenigen, die entweder kein Interesse am Schreiben haben oder Angst vor einem direkten Telefonat, gibt es nun diese Möglichkeit. Man sucht sich kurz etwas beim Einkaufen: „Schatz, ich bin gerade im Rewe, was willst du lieber, Nutella oder Nutoka?“ So einfach kann es sein.
Das Problem: Sprachnachrichten haben sich zu einer Plage entwickelt, da sich viele ihrer Nutzer nicht auf das Wesentliche beschränken können. Man kann zwar die Nachrichten in doppelter Geschwindigkeit abspielen, aber das erhöht nur die Schwierigkeit, das Geschriene zu verstehen.
Ich für meinen Teil habe eine ausgeprägte Abneigung gegen Sprachnachrichten. Wenn jemand etwas von mir möchte, soll er mich anrufen oder eine Textnachricht senden. Die Autokorrektur macht Meldungen oft kaum noch lesbar.
Ein anschauliches Beispiel: Peter und ich hatten ja unsere Angelzeit ausgemacht. Um 15 Uhr. Doch bereits um 13 Uhr kam eine Sprachnachricht rein, die sich um die unzähligen Details von allem drehte, nur nicht um unser Angeln. Hier ein kurzer Auszug: „Ich muss die Swantje zum Ballettunterricht fahren, das ist in der Stadt…“, und so ging das über mehrere Minuten.
Nach bereits zwei Minuten und 23 Sekunden der Sprachnachricht stellte ich auf zweifache Geschwindigkeit um – und kapierte nur Bahnhof: „…Swantje… wllkkntz… Ballettunterricht… wkslkntzsz…“. Am Ende angekommen, erfuhr ich schließlich: „… Coronatest. Und heute klappt das nicht.“
Ich antworte Peter knapp: „Wie sieht es am Samstag aus?“ Die grauen Haken verwandelten sich schnell in blaue, und Peter schrieb zurück: „Hörst Du Deine Textnachrichten eigentlich ab? Samstag geht nicht. Hab ich doch gesagt!“
Genau das hätte ich wohl erfahren, hätte ich mir die komplette Sprachnachricht von fast zehn Minuten zu Gemüte geführt. Ich sende ihm ein einfaches „Daumen hoch“-Icon und rufe Thomas an. Wir treffen uns um 15 Uhr am Wasser, mit Angelausrüstung und ohne Mobiltelefone. Sprachnachrichten sind der Teufelswerk!
Von Thilo Schneider, erschienen in der Achgut-Edition.