Erleuchtung in der Obstwiese: Die Rückkehr zu alten Schätzen
Die alten Obstsorten wie Ackerbirne, Glockenbirne und Hauxapfel haben einst als wahre Schätze gegolten. Doch wie steht es um ihr Ansehen in der modernen Zeit? Bei der Diskussion über Naturschutz werden Streuobstwiesen regelmäßig erwähnt. Diese altehrwürdigen, knorrigen Bäume fungieren nicht nur als Lebensraum für viele Insekten und Vögel, sondern sind auch unerlässliche Lieferanten für schmackhafte Früchte. Die Hartnäckigkeit von Aktivisten, Liebhabern und Apfelsaftenthusiasten zeigt, dass die Liebe zu diesen Bäumen nach wie vor stark ist.
Der schwäbische Dokumentarfilmer und Buchautor Andreas Geiger hat sich intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt. In seinem neu erschienenen Werk beleuchtet er die Passion von Jörg Geiger, einem Koch und Obstbauer, der sich mit Hingabe dem Streuobst widmet. Jörg Geiger ist ein echter „Genusshandwerker“, der mit Herz und Leidenschaft aus alltäglichen Früchten kulinarische Köstlichkeiten zaubert. Sein bemerkenswertestes Produkt ist der Prisecco, ein alkoholfreier Schaumwein, für dessen Herstellung viel handwerkliches Geschick erforderlich ist. Man findet in der Präsentation des Prisecco unkonventionelle Verfeinerungen, etwa die Beigabe von Hölzern oder Austern. Es ist kaum zu fassen, wie viele Menschen von diesem Getränk begeistert sind.
Ein ganzes Jahr lang hat Andreas Geiger den bereits überregional geschätzten Jörg Geiger begleitet. Zusammen mit eindrucksvollen Fotografien wird das Leben und die Arbeit auf den Streuobstwiesen greifbar. Jeder Baum wird zum Protagonisten, sodass selbst die Natur im Bild lebendig wird.
Andreas Geiger beschreibt anschaulich die Arbeit mit der elektrischen Baumschere und vermittelt das Gefühl, dass jeder Schnitt eine Geschichte erzählt. Man erfährt, dass die Pflege dieser alten Obstsorten zeitaufwändig ist, aber auch eine große Belohnung in Form von köstlichen Früchten mit sich bringt. Jörg Geiger sieht in der Obstwiese eine Quelle der Inspiration, ähnlich wie in seiner Tätigkeit als Koch. Die Idee, einen fruchtigen Aperitif für seine Restaurantgäste zu kreieren, entstand aus der Verbindung zwischen Erzeuger und Verbraucher.
Früher waren die alten Obstsorten in aller Munde, während der Most als erschwingliches Getränk konsumiert wurde. Historische Aufzeichnungen zeigen, dass um 1900 über 7.000 Eisenbahnwaggons Obst nach Stuttgart transportiert wurden. Leider ist die Zahl der Obstbäume in Baden-Württemberg auf nur noch sieben Millionen gesunken. Einher gingen die Veränderungen in der Landwirtschaft, die oft als Verdrängung traditioneller Anbauformen kritisiert werden.
Andreas Geiger gewährt uns zusätzlich Einblicke in die interessante Geschichte der Streuobstwiesen und wirft dabei auch einen Blick auf den Einfluss des Klimawandels. Das Haus Württemberg spielte einst eine entscheidende Rolle in der Verbreitung von Obstbäumen und der Kultur, die mit ihnen verbunden ist.
Im Kontext der Obstbaumkultur werden verschiedene wichtige Persönlichkeiten vorgestellt, die dazu beigetragen haben, das Erbe lebendig zu halten – von John Appleseed bis zu lokalen Helden wie Helmut Palmer. Andreas Geiger verbindet traditionelles Wissen mit modernen Ansätzen, sodass wir am Ende des Buches inspiriert werden, uns intensiver mit der genialen Vielfalt der Früchte auseinandersetzen.
Das Werk von Andreas Geiger ist nicht nur eine Hommage an alte Obstsorten, sondern auch ein Appell, sich der Wertigkeit heimischer Produkte bewusst zu werden und deren Geschmack in einer immer schneller werdenden Welt zu schätzen.
Andreas Geiger: Streuobst – Vom Geschmack einer Landschaft | 207 Seiten | 8 grad Verlag | 35 Euro
Pascal Cames, der in der Nähe von Straßburg lebt, ist als Redakteur tätig und zudem als freiberuflicher Journalist und Autor aktiv. Sein Blog Homme de Fer befasst sich mit dem Leben am Oberrhein.