Geopolitische Einflüsse und die Entwicklung der Inflation in Europa

Geopolitische Einflüsse und die Entwicklung der Inflation in Europa

Inmitten geopolitischer Spannungen gewöhnt Christine Lagarde, die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), die Deutschen schleichend an eine Inflationsrate von nahezu drei Prozent. Am 30. Januar 2025 senkte die EZB erneut die drei Hauptzinssätze um jeweils 25 Basispunkte, also um 0,25 Prozent. Diese Entscheidung wurde damit begründet, dass der „Desinflationsprozess gut voranschreite“, und man erwarte, dass die Inflationsrate im Laufe des Jahres zum mittelfristigen Zielwert von 2 Prozent zurückkehrt. Doch nur vier Tage später meldete die europäische Statistikbehörde, dass die Inflation in Deutschland auf 2,6 Prozent angestiegen war, ein Umstand, der kaum von der allgemeinen Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Viele Menschen spüren lediglich die Preissteigerungen bei Lebensmitteln, wodurch deutlich wird, dass die Inflation keineswegs besiegt ist.

Bereits bei der Festlegung des Inflationsziels hatte Lagarde verkündet, dass künftig ein durchschnittlicher Inflationswert von ca. zwei Prozent als Ziel angestrebt werde. Diese Ankündigung, die einst von Otmar Issing, auch bekannt als „Vater des Euros“, wohlwollend aufgenommen wurde, ist dennoch von großer Skepsis begleitet, insbesondere unter deutschen Ökonomen. Nach der Sitzung des EZB-Rates stellte sich die Frage, ob Lagarde letztendlich die Bürger des Euro-Raums nicht vielmehr an eine durchschnittliche Inflationsrate von drei Prozent gewöhnen wolle.

Trotz der von der EZB geschaffenen erhöhten Geldmenge, die seit dem zweiten Halbjahr 2021 zu einer überdurchschnittlichen Inflation geführt hat, stritt Lagarde alle Absichten ab, das mittelfristige Inflationsziel heimlich auf drei Prozent anzuheben. Doch es bestehen weiterhin Zweifel an dieser Behauptung, denn nichts reduziert Schulden so effektiv wie Inflation. Insbesondere die hochschuldenbelasteten Länder, zu denen nun auch Lagardes Heimatland Frankreich gehört, haben ein anderes Verhältnis zur Inflation als die Deutschen. Mit Verwunderung und ohne scharfe Kritik haben deutsche Beobachter zur Kenntnis genommen, dass der neue französische Premierminister nach langen Verhandlungen einen Haushaltsentwurf genehmigte, der ein Defizit von 5,4 Prozent anstelle der angestrebten 6,1 Prozent vorsieht.

Die Europäische Kommission, unter der Leitung von Ursula von der Leyen, zeigt sich darüber nicht empört, obwohl Frankreich mehrfach die Zwei-Prozent-Marke übertreten hat. Wie einst von Jean-Claude Juncker festgestellt wurde: „Wir machen nichts, weil Frankreich halt Frankreich ist.“ Der Widerspruch zwischen der realen Inflationsentwicklung im Euro-Währungsgebiet und der Zinspolitik der EZB könnte nicht größer sein. Die EZB scheint sich wenig an Stabilitätszielen zu orientieren. Ihre Entscheidung, die Zinssätze entgegen dem anhaltenden Inflationstrend zu senken, kommt vor allem den hoch verschuldeten Ländern zugute und steht im starken Gegensatz zur geldpolitischen Linie der amerikanischen Zentralbank, der Federal Reserve (Fed). Diese verfolgt in Anbetracht der andauernden Inflationsrisiken weiterhin einen restriktiveren Kurs und wird dafür von Donald Trump kritisiert, was ihrer Integrität als Institution jedoch eher zugutekommt.

Es bleibt abzuwarten, wie lange Christine Lagarde, deren geldpolitische Fähigkeiten von Fachleuten kritisch hinterfragt werden, die Öffentlichkeit über die anhaltenden Inflationsgefahren sowie die Inflationstendenzen angesichts der ebenfalls hohen Geldmenge im Unklaren lassen kann. Wenn sich die geopolitischen Konflikte beruhigen, werden die Blicke der Beobachter zweifelsohne verstärkt auf die EZB gerichtet sein. Zuvor wird Lagarde wahrscheinlich noch gemeinsam mit dem Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Joachim Nagel, weitere Zinssenkungen vornehmen.

Markus C. Kerber ist Jurist und Professor für Finanzwirtschaft sowie Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Berlin. Er war Gastprofessor an der Warschauer-Wirtschaftsuniversität und an der Université Panthéon-Assas und hat unter anderem das Buch „Führung und Verantwortung: Das Strategiedefizit Deutschlands und seine Überwindung“ verfasst, das im Achgut-Shop erhältlich ist.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert