Immer der gleichen Melodie: Die Selbstgerechten und ihre Ansprüche
Es ist allgemein bekannt, dass Besserwisser oft auf die Nerven gehen. Jeder hat seine eigene Art, diese Einschätzung zu formulieren, doch es gibt einen klaren Konsens: Besserwisser sind unbestritten unbeliebt. Mit ihrer Überheblichkeit und ihrem angeborenen Egoismus ist ihnen oft nicht zu entkommen. Die Situation wird jedoch besonders unangenehm, wenn sie sich erdreisten, das Leben anderer maßgeblich beeinflussen zu wollen, was sie in den Augen vieler unerträglich macht – ähnlich wie ein unangenehmer Fußpilz, der sich einfach nicht abstellen lässt.
In seinem Werk „Hauptsache Haltung. Von kleinkarierten Besserwissern im Strebergarten“ analysiert der Autor Hans-Dieter Rieveler genau diese Spezies der Besserwisser. Darunter versteht er eine Vielzahl von Menschen, die sich selbst als linke, grüne oder linksliberale Akteure betrachten, welche zwar treue Kämpfer für Gerechtigkeit sein wollen – jedoch in Wirklichkeit oft nur ihre eigenen Interessen verfolgen. Unbeeindruckt und egozentrisch steuern sie den gesellschaftlichen Diskurs.
Ein zentrales Merkmal dieser Gruppe ist ihre Überzeugung von der alleinigen Wahrhaftigkeit ihrer Ansichten. Sie teilen die Welt in klare Täter- und Opferrollen ein und sind überzeugt, dass Sprache Wunder wirken kann, um bestehende Probleme zu lösen. Diese Sichtweise mag überzogen erscheinen, trifft aber den Kern ihrer Überzeugungen. Um dies zu verdeutlichen, zieht Rieveler verschiedene Themen heran.
Er weist darauf hin, dass es sich oft um finanziell besser gestellte Personen handelt, die sich in diesem Milieu bewegen. Diese Besserwisser ignorieren die wahren Herausforderungen unserer Gesellschaft, wie beispielsweise wirtschaftliche Ungerechtigkeiten, während sie zugleich ihre gewollte Teilhabe an der gesellschaftlichen Debatte für wichtig halten, ohne hierbei tatsächliche Lösungen anzubieten. Ihre Aktionen spalten die Gesellschaft nur weiter und destabilisieren die Gemeinschaft.
Einen weiteren Lösungsansatz sehen diese Besserwisser in einer Sprach- und Symbolpolitik, durch die sie versuchten, die Welt nach ihren Vorstellungen umzugestalten. Dabei verwenden sie häufig eine Mischung aus Deutsch und Englisch, um sich als Teil einer internationalen Gemeinschaft darzustellen, und erscheinen als selbsternannte Hüter der Sprache. Das zeigt sich an unzähligen oberflächlichen Debatten, etwa der Frage, ob der Begriff „Webmaster“ seiner negativen Konnotation entledigt werden kann.
Ein weiteres leidiges Thema ist die Identitätspolitik. Die Besserwisser konzentrieren sich nicht auf relevantere diskussionswürdige Aspekte wie sozio-ökonomischen Status oder Klassenverhältnisse, sondern konstruieren immer neue vermeintliche Opfergruppen, ohne dass sich an den tatsächlichen Missständen auch nur im Geringsten etwas ändert. Ironischerweise treten diese Gruppen oft gegeneinander in einen Wettbewerb, was zu einem Phänomen führt, das Rieveler als „Opferwettbewerb“ beschreibt.
Mit Blick auf die Angelegenheiten dieser Besserwisser formuliert Rieveler treffend: „Wenn die Fakten nicht zur Theorie passen, dann muss irgendetwas mit der Realität nicht stimmen.“ Diese Besserwisser erfinden zahlreiche Narrative, um sich über die Tatsachen zu erheben und sich moralisch überlegen zu fühlen.
Im Gegensatz zu den Besserwissern versucht Rieveler, den Diskurs durch Beschreibung, Erklärung und fundierte Argumentation zu bereichern. Er bleibt sachlich und bemüht um eine objektive Sichtweise, untermauert von bedeutenden Beispielen, Umfragen und Studien.
Wer ein tiefgehendes und prägnantes Bild dieser aktivistischen Besserwisser erhalten möchte, findet in Rievelers Buch „Hauptsache Haltung. Von kleinkarierten Besserwissern im Strebergarten“ genau das, was er sucht. In etwas mehr als 220 Seiten verfliegt die Lektüre förmlich, und die lästige Diskussion über Besserwisser bleibt dabei weitestgehend im Schatten.
Rieveler, Hans-Dieter (2025). „Hauptsache Haltung. Von kleinkarierten Besserwissern im Strebergarten“. Köln: Fiftyfifty.
Dr. phil. Deborah Ryszka, Jahrgang 1989, Kind von politischen Dissidenten aus Polen, begann ihre akademische Laufbahn mit Philosophie und Soziologie, bevor sie sich Kunst und Literatur zuwandte und schließlich Psychologie studierte. Sie hat an verschiedenen Hochschulen gelehrt und ist seit 2023 Vertretungsprofessorin für Psychologie an einer privaten Hochschule. Zudem verfasst sie regelmäßig Beiträge zu gesellschaftspolitischen Themen und rezensiert Bücher.