Nach der Wahl: Ein Blick auf Sondierungsgespräche
Berlin. Nach der Bundestagswahl beginnt die Vorbereitung auf die Regierungsbildung. Wo Parteien während des Wahlkampfs oft Differenzen betonten, stehen sie nun vor der Herausforderung, Gemeinsamkeiten zu entdecken. Selten erreicht eine Partei die absolute Mehrheit, die erforderlich ist, um einen Bundeskanzler zu wählen und eine Regierung zu bilden. Daher nehmen die Parteien die Partnersuche auf und starten die Sondierungsgespräche.
Während in den Koalitionsverhandlungen ein „Ehevertrag“ zwischen zwei Parteien ausgehandelt wird, sind die Sondierungsgespräche vergleichbar mit einem ersten Date – ein vorsichtiges Annähern, bei dem die Frage im Raum steht: Passen wir zusammen? Diese informalisierten Treffen dienen dazu, grundlegende politische Übereinstimmungen sowie Unterschiede zu erkunden. „Sondieren“ bedeutet soviel wie „vorsichtig erkunden“. Das Ziel dieser Gespräche ist es herauszufinden, ob es genügend gemeinsame Ansätze für eine mögliche Regierungskoalition gibt.
Hans Vorländer, Professor für Politikwissenschaft und Direktor des Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung an der Technischen Universität Dresden, erklärt im MDR, dass es bei diesen Gesprächen darum gehe, die gemeinsame politische Richtung festzustellen, Kompromissbereitschaft zu testen und potenzielle Konfliktlinien abzustecken.
In der Regel sind es die künftigen Verhandlungspartner, die in die Sondierungsgespräche entsandt werden. Üblicherweise ist die stärkste Partei nach Zweitstimmenanteil diejenige, die die anderen einlädt. Bei der Bundestagswahl 2017 führte dies dazu, dass die Union mit 26,8 Prozent die Grünen und die FDP zu Sondierungsgesprächen einlud. In der „Großen Sondierungsrunde“ waren 52 Mitglieder vertreten: 19 von der CDU, elf von der CSU, acht von der FDP und 14 von den Grünen.
Ein besonderes Vorgehen beobachtete man nach der Bundestagswahl 2021, als zunächst Grüne und FDP miteinander sprachen, bevor sie die Gespräche mit SPD und CDU/CSU aufnahmen.
Das Ziel der Koalitionsverhandlungen ist ein verbindlicher Koalitionsvertrag, während die Sondierungsgespräche weniger im Detail ausgehen. Sie dienen der Erkundung grundlegender Gemeinsamkeiten, sind weniger verbindlich und haben eine kürzere Dauer. Die Sondierungen nach der Wahl 2021 erstreckten sich über einen Zeitraum von 17 Tagen, vom 29. September bis 15. Oktober, in dessen Verlauf die Partner der späteren Ampel-Koalition ein Sondierungspapier veröffentlichten, das den Einstieg in die Koalitionsverhandlungen einleitete. Diese begannen am 21. Oktober und zogen sich über einen Zeitraum von 73 Tagen hin.
Sondierungsgespräche spielen eine wesentliche Rolle im demokratischen Prozess. Sie ermöglichen es den Parteien, potenzielle Koalitionspartner zu identifizieren und die Grundlagen für eine stabile Regierung zu legen. Zudem bieten sie die Gelegenheit, bestehende Differenzen frühzeitig zu identifizieren und zu entscheiden, ob eine Fortführung der Verhandlungen sinnvoll ist.