Verträglichkeit und Streitbarkeit: Lebenswichtige Persönlichkeitsdimensionen
Die Art und Weise, wie wir mit anderen interagieren, ist ein zentrales Element unserer Persönlichkeit. Menschen, die als umgänglich bezeichnet werden, kämpfen oft damit, ihre Interessen durchzusetzen, während diejenigen, die stark in ihren Meinungen sind, tendenziell weniger Einfühlungsvermögen zeigen. Das Big-Five-Persönlichkeitsmodell untersucht fünf Dimensionen, die helfen, das menschliche Verhalten zu verstehen: (1) Offenheit für Neues, (2) Extrovertiertheit vs. Introvertiertheit, (3) Gewissenhaftigkeit, (4) Verträglichkeit vs. Streitbarkeit und (5) Neurotizismus. Jordan B. Peterson befasst sich intensiv mit diesen Dimensionen und beleuchtet insbesondere die Bedeutung von Verträglichkeit.
Verträglichkeit ist an sich eine komplexe Dimension. Sie lässt sich nur schwer von Neurotizismus und Extrovertiertheit abgrenzen, da Menschen mit hoher Verträglichkeit oft eine Vorliebe für soziale Interaktionen zeigen. Das Gegenteil davon, streitbare Menschen, können als wenig umgänglich wahrgenommen werden. Auch hoch neurotische Personen, die zu emotionalen Schwankungen neigen, erweisen sich oft als schwer zu handhabende Gesprächspartner.
In strittigen Diskussionen spielen oft nicht nur Meinungsverschiedenheiten, sondern auch emotionale Komponenten eine bedeutende Rolle. Ein höherer Neurotizismus ist häufig der Grund für hitzige Auseinandersetzungen. Peterson gibt einen Einblick, was die Dimension der Verträglichkeit sowohl bei stark ausgeprägtem als auch bei niedrigem Vorhandensein bedeutet. Dabei stellt er fest, dass diese Dimension facettenreiche Vor- und Nachteile birgt.
Um herauszufinden, wo man auf der Skala zwischen Verträglichkeit und Streitbarkeit einzuordnen ist, können bestimmte Aussagen als Maßstab dienen. Eine solche Aussage lautet zum Beispiel: „Ich interessiere mich nicht für die Probleme anderer Leute.“ Ein Interesse an den Belangen anderer Menschen zeigt Mitgefühl und damit eine Neigung zur Verträglichkeit. Diese Dimension setzt sich aus den Aspekten Mitgefühl und Höflichkeit zusammen.
Doch ist jedes Urteil darüber, ob Verträglichkeit oder Streitbarkeit besser ist, möglicherweise irreführend. Persönlichkeitsmerkmale sind, vereinfacht gesagt, normal verteilt, was bedeutet, dass es sowohl in den höheren als auch in den niedrigeren Bereichen positive und negative Eigenschaften gibt. Ein Beispiel: Viele glauben, dass extrovertierte Menschen besser sind als introvertierte. Diese Betrachtung führt jedoch dazu, dass die moralische Bewertung des jeweiligen Merkmals die Wahrnehmung darüber verzerrt.
Das Beispiel ist leicht nachvollziehbar. Menschen, die sich für die Sorgen anderer interessieren, werden als mitfühlend wahrgenommen. Wer jedoch desinteressiert erscheint, wird oft als weniger emphatisch oder sogar gefühlskalt angesehen. Peterson bringt zur Sprache, dass Respekt vor Autoritäten ebenfalls zur Verträglichkeit zählt, während Streitbarkeit unter anderem damit einhergeht, dass man seine eigenen Interessen allein in den Vordergrund stellt.
Ein interessantes Phänomen ist, dass Frauen in der Regel eine höhere Verträglichkeit aufweisen als Männer. Statistisch betrachtet könnte man mit etwa 60 Prozent Wahrscheinlichkeit korrekt einschätzen, dass eine zufällig ausgewählte Frau verträglicher ist als ein zufällig ausgewählter Mann. Während sich die meisten Menschen in der Mitte der Verträglichkeit befinden, zeigen sich die größten Unterschiede an den Extrempunkten der Verteilung.
Männer zeigen häufiger Streitbarkeit, was sich auch in gesellschaftlichen Realitäten widerspiegelt. Dies äußert sich unter anderem darin, dass Männer in der Kriminalstatistik überrepräsentiert sind. Ein geringer Grad an Verträglichkeit ist oft Voraussetzung für Konflikte oder auch für kriminelles Verhalten.
Stellt sich die Frage: Was ist das Gegenteil von Mitgefühl und Höflichkeit? Dies lässt sich anhand eines Tauschgeschäfts verdeutlichen. Eine verträgliche Person wird härter verhandeln, um auch dem anderen zu helfen, während eine streitbare Person genau das Gegenteil tut. Diese Differenzierung hat Auswirkungen auf die Zusammenarbeit und die Bereitschaft, Anerkennung zu zeigen, aber auch auf die Fähigkeit, eigene Interessen durchzusetzen.
Ein Nachteil der Verträglichkeit ist, dass es Personen schwerfällt, in Verhandlungen für sich selbst Argumente lautstark zu vertreten, was sich auf ihr Gehalt auswirken kann. Frauen sind daher oft eher geneigt, weniger Gehalt zu fordern, was die gelebte Realität im Berufsleben beeinflusst. Diese Dynamik wird vor allem dann spürbar, wenn Unsicherheiten und Selbstzweifel in Verhandlungen hineinspielen.
In einer Karrieresituation bringen steigende Positionen auch immer mehr Verantwortung mit sich, was für umgängliche Menschen kompliziert sein kann. Das Streben nach Beliebtheit kann dazu führen, dass man Konflikte vermeidet und damit unter Umständen langfristig Chancen verschenkt.
Jordan B. Peterson ist ein kanadischer Psychologe sowie Autor, der in seinen Werken und Vorträgen häufig konservative Positionen vertritt. Sein Bestseller „12 Rules for Life“ hat international für Aufsehen gesorgt.