Die Regierung ist auf der Palliativstation – ein totgeborenes Projekt

Politik

Es kann sein, dass die gegenwärtige Regierung noch lange im Amt bleiben wird. Faktisch aber ist es eine erfolglose, zerstrittene und damit sterbende Regierung. Medizinisch müsste man feststellen, dass sie austherapiert ist. Tatsächlich ist alles, was jetzt passiert, politisch palliativ.
Von Peter Winnemöller. Gestern wurde das für den Herbst, der als Jahreszeit schon seinen Zenit überschritten hat, das geplante Reformpaket vorgestellt. Ein Beispiel: Der Führerschein ist bald digital. Selbstwahrnehmung der Regierung: Der Jubel ist bundesweit zu hören, endlich werden die fundamentalen Probleme unseres Landes angepackt. Rücksturz in die Wirklichkeit: Das vorgestellte Paket ist ein Herumwerkeln an Mikroproblemen und Expertenmaßnahmen.
Firmen mit weniger als 50 Mitarbeitern sollen künftig auf Sicherheitsbeauftragte verzichten dürfen. Beim Bauen soll auf die bisher verpflichtende Mindestanzahl von Steckdosen verzichtet werden dürfen, damit Bauvorhaben schneller und günstiger realisiert werden können. Schlankere Planungs- und Genehmigungsverfahren für Verkehrswege sind ebenso geplant wie die Anpassung des Bauvertragsrechts. Wohngeld soll züglicher bearbeitet und ausgezahlt werden. Am Flughafen soll die Digitalisierung Passagieren schnelleren Zugang zum Flieger ermöglichen. Fazit: Das große Maßnahmenpaket besteht aus lauwarmen Absichtserklärungen und viel Kleinklein.
Die echte Nachricht des gestrigen Tages lautet hingegen: Das Heizungsgesetz wird nicht geändert. Umweltminister Carsten Schneider, von dem bislang keiner etwas gehört hatte, will die Änderung nun doch nicht. Was interessiert die SPD der Koalitionsvertrag? Nebenbei bemerkt, ist das ein Merkmal dieser Regierung, dass sich die Minister möglichst unsichtbar zu machen versuchen. Dorothee Bär und Katharina Reiche haben sich beispielsweise in Luft aufgelöst. Oder ist Frau Bär schon auf dem Mond gelandet?
Bei jeder Pressemeldung über die gegenwärtige Regierung und ihr verzweifeltes Taumeln fragt man sich, ob es sich bei dem jeweils vermeldeten Sachverhalt gerade um Sterbehilfe oder eine verzweifelte lebensverlängernde Maßnahme handelt. Denn es sollte jedem inzwischen klar sein, diese Regierung unter Leitung von Bundeskanzler Friedrich Merz befindet sich längst auf der Palliativstation. Mit Therapie, gleich welcher Art, ist dieser Regierung nicht mehr zu helfen. Der innerkoalitionäre Streit, ein Dauerzustand dieser Regierung vom ersten Tag ihrer Existenz an, tritt in ein finales Stadium.
„Wir werden mit denen nicht sterben“, wird Jens Spahn aus einer Fraktionssitzung zitiert. „Dann ist die Regierung gescheitert“, sagte Friedrich Merz ebenfalls gegenüber der Fraktion bei Vorstellung einer Tabelle in der Investitionen der Wirtschaft und Staatsausgaben einander gegenübergestellt wurde. Der Staat gibt Geld ohne Ende aus, die Wirtschaft hält sich sehr zurück. diesen Zustand findet der Kanzler unhaltbar und spricht vom Scheitern seiner Regierung, wenn sich das nicht ändert. Wo er recht hat, hat er recht.
Der Außenminister hingegen weint, weil man ihm seine Unfähigkeit bescheinigt hat. Trotzdem stellt er sich in der Frage der syrischen Migranten quer zur Linie des Kanzlers und des Innenministers. Wer, wenn nicht die Syrer (auch die, die derzeit in Deutschland weilen), soll Syrien wieder aufbauen? Der Außenminister versucht ganz offensichtlich eine Fortsetzung der Ära Baerbock. Der Finanzminister, bei allem Respekt vor seiner Sensibilität, zeigt tagtäglich, wie es ihm als Chef der Minderheitspartei gelingt, den großen Partner am Nasenring durch die Manege zu ziehen. Der Große lässt es zu. Bundeskanzler Merz versagt vollends darin, den Juniorpartner in die Schranken zu weisen. Folge: CDU-Abgeordnete werden in ihren Wahlkreisen gleich reihenweise „gegrillt“.
Links ist nicht etwa vorbei, sondern feiert fröhlich die üppige Finanzierung der NGOs durch eine CDU-geführte Regierung. Der Kulturstaatsminister, der ganz klar zum Programm von „Links ist vorbei“ gehörte, erweist sich mit seinem Medienunternehmen als Skandalnudel und lässt zu, dass sein von Mitarbeiterseite nach wie noch linksdominiertes Haus die üppigen Mittel an linke NGOs im Zweifel noch ein wenig erhöht. Zum Dank organisieren die linken Aktivisten Demos gegen die CDU und dürfen sich über prominente Anwesenheit von hochrangigen SPD-Vertretern bei den Kundgebungen freuen. Dass das die CDU-Fraktion verschnupft, stößt natürlich auf völliges Unverständnis, weil sich Linke für die geborenen Guten halten. Inzwischen wird sogar innerhalb der Faktionen verbal aufeinander geschossen. Die SPD poltert gegen Pistorius und dessen Pläne zur Wehrpflicht. Kommt da was? Die CDU probt den Aufstand gegen Wadephul. Das sind nur zwei Beispiele. Von der grummelnden Unzufriedenheit der Abgeordneten, die um ihre Wiederwahl fürchten, hier einmal ganz abgesehen.
Den lausigen 6. November, den Tag, der im vergangenen Jahr das Ende der Ampel war, hat man in der schwarzroten Koalition äußerst mühsam überlebt. Doch wie lange wird es noch gehen? Eine Woche oder zwei? Vielleicht noch einen Monat? Diese Regierung ist seit nunmehr 200 Tagen im Amt und hat bis dato nichts, wirklich gar nichts von dem umgesetzt, was vor der Wahl versprochen wurde. Es ist noch schlimmer, nicht einmal die Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag gelten wirklich. Es steht nicht nur alles unter Finanzierungsvorbehalt, es steht unter dem Vorbehalt, dass ein Vorhaben das Wohlwollen der Genossen findet. Energie wird jetzt nur für die ganz großen Energieverbraucher etwas weniger teuer. Der Bürger in seinem Haushalt darf weiter frieren oder fröhlich löhnen. Die CO2-Bepreisung kommt garantiert. Kassieren ist das Einzige, was sie können. So jedenfalls muss es dem immer weiter gebeutelten Bürger erscheinen.
Die dringend nötige Reform der in ihrer Existenz bedrohten Sozialsysteme zerschellt und endet als Umbenennung von Bürgergeld in Grundsicherung. Krankenkassen, Rentenkasse, Pflegekasse, sie alle darben. Was stört es die Regierung. Die geplante Aktivrente wurde in mehreren Akten der Verzwergung auf ein Nichts geschrumpft. Die Idee, Rentner 2.000 Euro steuerfrei verdienen zu lassen, war ein für den Staat aufkommensneutraler Geniestreich, der die Rentenkasse um Milliarden entlastet hätte. Aber Sozialdemokraten können eines gar nicht ausstehen: Geld in den Händen von Bürgern. Das ist wieder nur ein Beispiel von zahlreichen anderen, wie diese Regierung eine Enttäuschung nach der nächsten produziert hat. Begleitet wird dieses Totalversagen der Verantwortlichen von dem oben gezeigten Crescendo des Streits.
Man muss leider konstatieren, dass die vergangenen 200 Tage für das Land verschwendete und verlorene Zeit war. Jeder Tag, den diese Regierung, besser gesagt, diese Koalition, noch im Amt bleibt, ist ein weiterer verlorener Tag für das Land. Und damit der rosa Elefant inmitten der Republik nicht ungenannt im Raum stehenbleiben muss: Der ist die Geiselhaft der CDU links der Brandmauer, die jede denkbare Verbesserung unterbindet. Solange diese Fesseln nicht durchschlagen sind, dessen sollte man sich bewusst sein, wird es auch mit einer Minderheitsregierung keine Änderung der Lage geben.
Um es gleich vorwegzunehmen, auch nach Zerschlagung der Brandmauer sollte niemand damit rechnen, dass sich alle Probleme des Landes ad hoc in Luft auflösen. Bei einer lösungswilligen Regierung könnte man jedoch erwarten, dass man nach 200 Tagen, basierend auf dem, was bereits geschehen ist, zumindest eine Besserung der Stimmung bei Bürgern und Wirtschaft wahrnimmt: „Ja, da kommt Bewegung rein.“ Oder ähnlich. In Wirklichkeit werden die Menschen im Land immer depressiver, während die Regierung sich langsam der palliativen Sedierung nähert. Es wird nur noch gestochert und die Unfähigkeit verwaltet. Man kann in dieser Situation nur Roman Herzog zitieren: „Es muss ein Ruck durch dieses Land gehen.“ Besser heute als morgen.