Ein neuer Blick auf die politische Inszenierung im Oval Office
Die zentrale Frage, die sich stellt, ist, ob wir ein weiteres Kapitel des politischen Theaters „Eklat im Weißen Haus“ erleben werden. Und kann es nach der dramatischen Zuspitzung im ersten Akt vielleicht doch noch zu einem versöhnlichen Ende kommen?
Wenn es einen Preis für die aufregendste Reality-TV-Show der letzten Zeit gäbe, ginge dieser ohne Zweifel an das Duo J.D. Vance und Donald Trump. Vance würde den Preis für das packendste Drehbuch erhalten, während Trump als unbestrittener Hauptdarsteller gewürdigt werden würde. Wolodymyr Selenski, der als bester Nebendarsteller nominiert war, ließ Hollywood, oder besser gesagt Washington, ohne einen Preis hinter sich.
Ein erster Eindruck, wie diese theatrale Aufführung verlaufen könnte, kam bereits bei Selenskis Ankunft, als Trump sich spöttisch über das weniger formelle Outfit des ukrainischen Präsidenten äußerte. Während des Aufeinandertreffens entspinnt sich dann eine amüsante Szene, in der ein Nebendarsteller Selenski fragt, wieso er keinen Anzug trage. Darauf antwortete Selenski: „Wenn der Krieg vorbei ist, trage ich wieder Anzug. Vielleicht so einen wie Sie. Oder einen besseren.“
Damit war die Bühne bereitet für ein ungeschöntes Spektakel, das im Oval Office stattfand. Das Publikum setzten sich aus Mitgliedern des Teams und Journalisten zusammen. Nach einigen höflichen Floskeln legte Vance eine starke Performance hin, indem er Selenski vorwarf, sich nicht genügend bei seinen amerikanischen Geldgebern zu bedanken.
Trump, der dann das Geschehen dominierte, konfrontierte Selenski mit der Behauptung, ohne Unterstützung aus den USA hätte dieser keine Möglichkeit, gegen Wladimir Putin, der nicht persönlich anwesend war, zu bestehen. Selenski versuchte daraufhin zu argumentieren, dass Putin sich nicht an Vereinbarungen halte, wenn keine Sicherheitsgarantien vorhanden seien. Trump wies dies aber entschieden zurück, was in einem Streit gipfelte, der an Echtheit kaum zu übertreffen war. Selenski wurde daraufhin höflich aus dem Studio geleitet, während ein subplots über Rohstofflieferungen in den Hintergrund trat und aus dem Skript gestrichen wurde.
Die internationale Resonanz auf diese Reality-Show bleibt nicht ohne Folgen. Europa stellt sich nun die Frage, ob eine Teilnahme an amerikanischen Preisverleihungen noch von Belang ist. Das Motto der Filmschaffenden scheint zu sein: America first. In Europa glaubt man weiterhin, dass Selenski aufgrund seines Charakters, den er angesichts der Übermacht auf fremdem Territorium bewiesen hat, einen Preis verdient hätte. Jetzt wird diskutiert, ob einen eigenen europäischen Oscar ins Leben gerufen werden sollte oder ob man sich auf die Berliner Bären und die Goldene Palme beschränken sollte.
Derzeit fehlen den europäischen Veranstaltern die finanziellen Mittel, um eine Show zu schaffen, die mit den Oscars konkurrieren könnte. Auf der anderen Seite hat die inszenierte Aufführung im Weißen Haus eine deutliche Erkenntnis zutage gefördert: Auf die Unterstützung aus Amerika ist momentan nicht mehr viel Verlass. Für die Ukraine und ihren Helden ohne Anzug sieht es düster aus, und für Europa stellt sich die Frage, wie es mit der Situation weitergeht.
Nun bleibt abzuwarten, ob die Geschichte um den „Eklat im Weißen Haus“ auch einen zweiten Teil haben wird und ob dieser gar ein unerwartet versöhnliches Ende finden kann. Das weltweite Publikum ist gespannt. Berichten zufolge ist Putin mit dem bisherigen Verlauf der Inszenierung sehr zufrieden.
Verfasser: Rainer Bonhorst, geboren 1942 in Nürnberg, arbeitete als Korrespondent der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung in London und Washington. Von 1994 bis 2009 war er Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen Zeitung.