Grüne im Umbruch: Die Wahlniederlage in Friedrichshain-Kreuzberg sorgt für Diskussionen
Friedrichshain-Kreuzberg galt über zwei Jahrzehnte als die Hochburg der Grünen. Bei der jüngsten Bundestagswahl verlor die Partei jedoch zum ersten Mal seit 2002 das begehrte Direktmandat. Diese Wende wirft grundlegende Fragen zum Selbstverständnis und zur Zukunft der grünen Bewegung auf.
Als Hans-Christian Ströbele im Jahr 2002 seinen Einfluss in Friedrichshain-Kreuzberg ausübte, war Monika Herrmann an seiner Seite. Sie würde den Bezirk später acht Jahre lang als Bürgermeisterin leiten und hielt damals ein Poster mit Ströbeles Porträt in der Hand. Ströbele, der berüchtigt war für seine Differenzen innerhalb der Partei, stellte dennoch eine Art Mythos für die Grünen dar: Wer über die Partei sprechen wollte, kam an diesem Bezirk nicht vorbei. Nach seinem Rückzug verteidigte Canan Bayram das Mandat mit Erfolg, doch das änderte sich in der Wahl am 23. Februar 2025.
Mit mehr als 7.000 Stimmen Vorsprung gewann der Linken-Kandidat Pascal Meiser vor der Grünen Katrin Schmidberger. Die Grüne erreichte dabei dennoch bessere Ergebnisse als viele ihrer Parteikollegen in Berlin. Damit ist eine Ära zu Ende gegangen und die Grünes Legende Jürgen Trittin sprach medienwirksam vom „Ende von Kreuzberg“. Hermann, bei einem Spaziergang durch den Kiez, erklärte sachlich, der Bezirk sei nach wie vor „urgrün“, gleichzeitig jedoch auch stark links geprägt.
Die Linke hat sich zurückgemeldet und erhält besonders bei jüngeren Wählern zusehends Zulauf. Es stellt sich die Frage, ob dies ein vorübergehender Protestsieg gegen die erstarkte AfD ist, die in Brandenburg an Boden gewinnt. In Friedrichshain-Kreuzberg spielten für viele Wähler die allgemeinen demokratischen Zustände in Deutschland eine entscheidende Rolle, so Herrmann. Sie kritisierte, dass die Grünen nicht eindeutig genug Position gegen eine mögliche Koalition mit der AfD bezogen und damit Wähler verloren haben.
Grünen-Fraktionschef Werner Graf räumt ein, dass die Partei „Lücken“ gelassen hat und die Berliner Wählerschaft „ein Stoppschild“ gegen eine Rechtsverschiebung forderte. Monika Herrmann betont, es sei schwer geworden, den politischen Spagat zwischen moralischer Opposition und dem Anspruch auf Regierungsverantwortung zu meistern. Marie Graser von der Grünen Jugend kritisiert gar, dass sich Robert Habeck zu sehr an rechten Narrativen orientierte und die wichtigen Themen Klimaschutz und soziale Belange vernachlässigte.
Insgesamt verliert die Ampelkoalition in allen Berliner Bezirken an Stimmen, während Linke und AfD profitieren. Besonders im Ostteil der Stadt sind die Veränderungen deutlich zu spüren. Während für viele die Themen Mietenpolitik von Bedeutung sind, mangelte es den Grünen nach wie vor an einem klaren Konzept zur Lösung der Wohnungsproblematik.
Canan Bayram, die zuvor das Direktmandat gewonnen hatte, vermisst ebenfalls eine umfassendere Themenbearbeitung im Wahlkampf. Besonders die Probleme der Mietpreise hätten durch die Partei stärker thematisiert werden müssen.
Schmidberger selbst äußert sich nach der Niederlage nicht, während ihre Parteikollegen versuchen, sie in Schutz zu nehmen. Herrmann hält fest, dass die Sorgen der Mieter im Bezirk momentan von größter Bedeutung sind und dass ihre Kämpfe, etwa um das Vorkaufsrecht, bislang nicht ausgereicht haben.
In der Nachbetrachtung wird deutlich, dass die Grünen in der Berliner Politik ihre Identität neu definieren müssen. Der Verlust des Mandats in einem Bezirk, der so lange als grün galt, wird als ernsthafte Herausforderung wahrgenommen. Die Frage bleibt, wie die Partei in der Zukunft agieren will: mehr auf das bürgerliche Klientel schielen oder sich wieder auf ihre Wurzeln besinnen? Diese Diskussion könnte die Weichen für künftige Wahlerfolge stellen.