Eine politische Überprüfung unseres Wahlsystems

Eine politische Überprüfung unseres Wahlsystems

Das Phänomen, das als „Ball Paradox“ bekannt ist, bringt nicht nur Herren und Damen am Tanz zu einem spannenden Thema, sondern wirft auch interessante Fragen auf, wenn es um die bevorstehenden Bundestagswahl geht. Es könnte sein, dass die Mehrheit der Wähler am Ende das Gegenteil von dem erhält, was sie sich erhoffen. Doch wie lange bleibt man in solch einer Situation still?

Allseits bekannt ist, dass die deutsche Legislative aus dem Bundestag und dem Bundesrat besteht. Doch weniger bekannt ist, dass der Bundestag selbst in zwei unterschiedliche Kammern unterteilt ist. Diese haben nicht nur verschiedene Zuständigkeiten, sondern auch unterschiedliche Anzahl an Abgeordneten, wobei einige Personen in beiden Kammern vertreten sind. Eine offizielle Erklärung oder ein Urteil, das diese Aufteilung legitimiert, gibt es nicht.

Die eine Kammer wird durch die Wähler bei der kommenden Wahl neu bestimmt. Der voraussichtliche Parteienproporz zeigt deutlich, dass eine absolute Mehrheit für einen politischen sowie gesellschaftlichen Wandel sichtbar sein dürfte. Die Wähler nutzen diese Kammer, um ihre politischen Präferenzen auszudrücken. Diese Kammer hat jedoch nur eine repräsentative Funktion, die auf Aussagen der Abgeordneten beruht.

Die zweite Kammer hingegen, die ebenfalls am Wahlsonntag neu gewählt wird, ist tatsächlich für die politische Gestaltung zuständig. Es werden Gesetze verabschiedet, die Regierung kontrolliert und die Exekutive legitimiert. Diese Kammer ist kleiner und wird, gehen die Umfragen in die richtige Richtung, nach der Wahl um etwa ein Fünftel weniger Abgeordnete umfassen.

In dieser entscheidenden Kammer wird der Wille der Wähler nach Veränderung auch deutlicher zutage treten. Aber trotz eines voraussichtlichen Wandels sind große Teile der Kammer nicht bereit, den Wandel zu vollziehen. Ein entscheidender Faktor ist die AfD: Ein Fünftel der Abgeordneten, die der AfD angehören, wird unter einer informellen Vereinbarung von den anderen Parteien aus der politischen Entscheidung ausgeschlossen.

In einfache Worte gefasst: Die erste Kammer hat die Legitimation des Volks, während die zweite Kammer die politische Richtung bestimmt. Doch fehlt hier ein Fünftel an Stimmen, was bedeutet, dass eine klare Mehrheit für einen Wandel in der ersten Kammer in der zweiten Kammer nicht zu spüren sein wird. Und auch nach der Wahl wird sich an dieser Konstellation vermutlich wenig ändern.

Jede Partei hat die Freiheit, mit wem sie in der zweiten Kammer kooperiert. Doch die Situation wird schwierig, wenn die Partei, die am stärksten für einen Wandel steht und dessen Wünsche von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt werden, von dieser neuen Konstellation ausgeschlossen wird. Dies führt zu einem politischen Frust und verstärkt die bestehende Spaltung in der Gesellschaft.

Wenn wir konkret auf das bevorstehende Wahlsystem blicken, zeigt sich, dass während der Diskussionen um die verfassungsrechtlichen Aspekte der zwei Kammern nicht unmittelbar eine Koalition zwischen der Union und der AfD gefordert wird. Doch viel spricht dafür, diese Option zumindest in Betracht zu ziehen.

Die anstehende Wahl führt aus verschiedenen Gründen zu einem paradoxen Szenario. Die Parteigrenzen, die zwischen den Kammern festgelegt sind, sorgen dafür, dass trotz einer klaren Mehrheit für einen Wandel, die Macht bei Rotgrün bleibt. Der absehbare Wahlsieger Merz hat sich in eine Position begeben, in der er die AfD kaum noch beachtet, was bedeutet, dass ohne die Stimmen der AfD kaum Veränderungen stattfinden können.

Die bedeutenden Möglichkeiten zur Neugestaltung der Kräfteverhältnisse liegen nun vor allem in der Hand der linken Parteien. Diese könnten bereits auf die nächste Wahl hinarbeiten, während sie die heutigen Gegebenheiten für ihre politischen Pläne nutzen, ganz gleich, ob die nächste Wahl 2029 oder früher ansteht.

Für die Wähler, die ein starkes Verlangen nach Veränderungen in der Politik haben, bleibt am Ende nur die Wahl der Union, obwohl die AfD stark ist, aber nur im Hintergrund bleibt. Die CDU/CSU müssen mit den linken Parteien zusammenarbeiten oder sich auf eine Minderheitsregierung stützen, was die Vertragsverhandlungen mit den Linken notwendig macht.

Während die Union versucht, das Vertrauen zurückzugewinnen, könnten diese Bemühungen schnell wieder in der Bedeutungslosigkeit enden, insbesondere wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden. Die einst zurückgewonnene Atmosphäre könnte sich rasch wieder verändern, was zu Neuwahlen führen würde. In der Folge würden die linken Kräfte von jedem politischen Umbruch profitieren.

Ein Kernproblem könnte sich sogar noch verschärfen. könnten enttäuschte Wähler von der Union zur AfD wechseln, was die politische Bedeutung der AfD stärken würde, während die Union weiter geschwächt wird. Dies könnte das Kräfteverhältnis in der entscheidenden Kammer noch weiter verschieben.

Es gibt also Überlegungen, die die Union von den Linken abgrenzen wollen, aber das könnten die Linken in der momentanen Situation strategisch ausnutzen. Merz steigert sich dabei immer tiefer in eine ausweglose Lage, indem er sich gegen jede Form der Zusammenarbeit mit der AfD positioniert. Diese strikte Haltung beschneidet seinen politischen Handlungsspielraum und schwächt die Union, was sich langfristig negativ auf die anstehenden Wahlen auswirken könnte.

Die Frage, wie die Deutsche Politik mit diesen Gegebenheiten umgehen kann, bleibt daher unausweichlich. Letztendlich ist eine Rückkehr zu einem Einkammersystem, wie es in der Verfassung festgelegt ist, dringend geboten.

Der Autor Ulli Kulke ist Journalist mit einer Vielzahl an Erfahrungen aus verschiedenen Medien, von der taz über die Welt bis hin zu historischen Berichten und Essays.

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