Japan als vermeintliches Vorbild für Deutschlands Rechte
Tokio. Die rechte Szene in Deutschland betrachtet Japan besonders positiv, da man dort eine vermeintlich restriktive Migrationspolitik pflegt. Allerdings ist dieser Blickwinkel trügerisch, denn Japan hat sich in dieser Hinsicht weiterentwickelt.
Björn Höcke, ein prominenter Vertreter der Alternative für Deutschland, forderte auf dem Bundesparteitag 2021 unter großem Beifall: „Mehr Japan wagen!“ Er unterstrich, dass Japan zahlreiche Gemeinsamkeiten mit Deutschland habe, aber in einem Punkt grundlegend anders agiere. Hierzu erwähnte er das „exzellente Gastarbeitersystem“ des Landes, das auf „Zuwanderern auf Zeit“ basiere. Höcke warnte: „Wenn Deutschland und Europa nicht dem japanischen Weg folgen, droht eine kulturelle Kernschmelze!“
Diese Äußerungen stammen aus einer Zeit, als die AfD ihr damaliges Wahlprogramm diskutierte. Höcke, als Rechtsaußen der Partei bekannt, sprach sich für ein „Migrationsmoratorium“ aus, das den Zustrom von Migranten nach Deutschland und in die EU stoppen sollte, mit der Ausnahme wohlhabender Investoren. Angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl sind Migrationsthemen erneut in aller Munde.
Die aktuelle Situation hat sich zugespitzt, besonders seit dem CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz erste Schritte unternahm, um mit den Stimmen der AfD eine Mehrheit für eine strengere Migrations- und Flüchtlingspolitik anzustreben. Der Einfluss der AfD auf die parlamentarischen Entscheidungen könnte somit greifbarer werden. Höcke ist hierbei nicht allein: Auch Nicole Höchst, AfD-Abgeordnete aus Rheinland-Pfalz, betont begeistert, dass sie sich während ihrer Reise nach Japan im Jahr 2024 „endlich mal wieder sicher gefühlt“ habe. Sie sieht den Grund dafür in Japans restriktiver Migrationspolitik, die eine hohe Visa-Hürde aufrechterhält und kaum Flüchtlinge aufnimmt, was angeblich „kulturelle Friktionen“ vermeidet.
Der Vergleich zwischen Japan und Deutschland offenbart jedoch signifikante Unterschiede. So wurden 2020 von den Menschen in Deutschland 18,8 Prozent im Ausland geboren, während diese Zahl in Japan lediglich 2,2 Prozent beträgt. Im Jahr 2024 lebten in Deutschland über 3,1 Millionen Geflüchtete, während Japan sich mit nur rund 25.800 begnügte. Wenn es um die Kriminalitätsrate geht, verzeichnete Deutschland im Jahr 2023 pro 100.000 Einwohner etwa 7000 angezeigte Straftaten, in Japan hingegen nur rund 500.
Diese Vergleiche unterstützen die Argumentation der AfD, die weniger Fremde und Straftaten in einer Gesellschaft anstrebt. In Japan hat sich über Jahrzehnte das Narrativ einer „homogenen Gesellschaft“ etabliert, in der die Menschen ähnliche Ideale und Werte teilen. Die CDU könnte dies als ihre Vorstellung von „Leitkultur“ begreifen.
Die Verbindung zwischen sozialer Homogenität und Kriminalitätsraten ist allerdings umstritten. Studien zeigen, dass soziale Ungleichheit und Polarisierung entscheidende Faktoren für das Auftreten von Straftaten sein können. Ausländer gelten häufig als überproportional beschuldigt, wobei viele Straftaten, etwa illegale Einreise, nicht von Einheimischen verübt werden können. In Japan fällt eine illegale Einreise deutlich schwerer.
Die Bewunderung der deutschen Rechten für Japan ist nicht unumstritten. Soziologieprofessor Masaaki Ito von der Seikei Universität Tokio betont, dass Japan dringend einen Entwicklungsprozess durchlaufen muss, um mit den globalen Herausforderungen Schritt zu halten. Selbst die konservative Regierung hat Reformen in mehreren Bereichen vorangetrieben. Ironischerweise gilt Deutschland heute als wichtiges liberales Referenzland für Japan.
Die wirtschaftlichen Kennzahlen spiegeln diese Veränderungen wider. Seit 1994 hat sich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Deutschlands verdoppelt, während Japans BIP im gleichen Zeitraum leicht gesunken ist. Der BIP pro Kopf ist in Deutschland von 27.000 US-Dollar auf 52.700 Dollar gestiegen, während Japan heute mit etwa 34.000 Dollar zurückliegt.
Franz Waldenberger, Ökonom und Direktor des Deutschen Instituts für Japanstudien, erklärt, dass Japan mit einer alternden und schrumpfenden Bevölkerung zu kämpfen hat, was ein Hindernis für ökonomisches Wachstum darstellt. Der Mangel an Arbeitskräften wird zunehmend zur Herausforderung. Diese Realität wird von der Gesellschaft anerkannt, und es gibt überall Stellenanzeigen. Betriebe kämpfen darum, Mitarbeiter zu finden.
In den letzten Jahren hat Japan schrittweise seine Einwanderungspolitik gelockert. Vor der Pandemie verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das die Anwerbung von Arbeitskräften erleichtert, und es gibt mittlerweile große Fortschritte bei der Integration von Asylsuchenden, einschließlich der Ukrainer, die in Japan eine positive Aufnahme erfahren.
„Diversität ist heute ein zentrales Ideal“, erklärt Ito. Der Slogan „Unity in Diversity“ war während der Olympischen Spiele 2021 in Tokio omnipräsent. Heute ist „Tayousei“, was Diversität bedeutet, ein Schlüsselbegriff in Politik und Wirtschaft. Die alte Vorstellung einer homogenen Gesellschaft wird zunehmend in Frage gestellt, während Begriffe wie Leitkultur in Japan nicht mehr zeitgemäß erscheinen.