Ein aufsehenerregender Juso-Chef: Philipp Türmers unkonventioneller Kurs
Berlin. Philipp Türmer hat mit seinen jüngsten Auftritten im Spiegel sowie bei Markus Lanz für Aufmerksamkeit gesorgt. Der neue Vorsitzende der SPD-Jugendorganisation, den Jusos, verfolgt dabei eine klare Linie.
In der Geschichte der Jusos sind zahlreiche politische Größen wie Andrea Nahles, Kevin Kühnert und Gerhard Schröder hervorgegangen. Auch Lars Klingbeil, der aktuelle SPD-Vorsitzende, und Bundeskanzler Olaf Scholz haben bedeutende Juso-Positionen besetzt, bevor sie an die Spitze der Partei aufstiegen. Traditionell zeichnen sich die Jusos durch ihre linke Ausrichtung und eine kritische Haltung gegenüber der Parteiführung aus. Mit Türmer, der seit November 2023 an der Spitze steht, wird diese Tradition fortgesetzt.
Der 28-jährige Politiker hat seine Wurzeln in einer SPD-fokussierten Familie, beide Eltern sind in der Partei aktiv, während sein Vater im Bundesfinanzministerium tätig war. Türmer trat der SPD im Alter von 16 Jahren bei und engagierte sich während der Pandemie sozial, indem er bei der Tafel in Offenbach mithalf. Der Kampf gegen Armut zählt zu seinen zentralen Anliegen, wobei er Jura und Wirtschaft studiert hat. In einem Interview mit dem Spiegel ließ er kein gutes Haar an Parteivorsitzendem Klingbeil, den er als „Architekten des Misserfolgs“ bezeichnete und zeigte sich von seiner neuen Rolle als Fraktionsvorsitzender alles andere als begeistert. Türmer verfolgt unermüdlich das Ziel, die SPD nach links zu verschieben – auch auf Kosten seiner Parteifreunde.
Bereits während der Ampelkoalition schloss sich Türmer häufig in der Kommunikation mit eigenen Parteikollegen. Auf Olaf Scholz angesprochen, bemerkte er: „Es genügt mir nicht, wenn sich ein sozialdemokratischer Bundeskanzler nur in der Stellung des Moderators sieht.“ Vor dem Ende der Koalition im Oktober 2024 resümierte er: „Ich bin insgesamt enttäuscht von der Bilanz der Ampelregierung.“
Vor einer prognostizierten schwarz-roten Koalition hat Türmer ebenfalls Bedenken geäußert. Er erklärte, er bevorzuge die Opposition über eine große Koalition, deren praktische Realität nun entsteht, um eine Regierungsbeteiligung der AfD zu verhindern. Dennoch sieht er eine Zusammenarbeit von CDU und SPD nicht als Selbstverständlichkeit.
Er forderte Friedrich Merz zu einer Entschuldigung auf, nachdem dieser gemeinsam mit der FDP und der AfD abgestimmt hat. Zugleich sprach er sich für Maßnahmen aus, die eigentlich im Widerspruch zum CDU-Programm stehen, wie eine Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro. Türmer wird allerdings nicht Teil des Verhandlungsteams sein und verzichtete auf eine Kandidatur im Bundestag, weshalb er sich weiterhin auf die Rolle des kritischen Beobachters konzentrieren muss. Diese Position beherrscht er jedoch bestens. In der ZDF-Talkshow Markus Lanz mischte er sich mit dem CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann an und stellte klar, dass die Koalitionsgespräche „keine Selbstverständlichkeit“ seien.
Die letzte Juso-Chefin, die in ähnlichem Maße selbstbewusst auftrat, war Kevin Kühnert, der schließlich die Rolle des Generalsekretärs übernahm. Durch diesen Aufstieg war er gezwungen, die SPD vermehrt zu verteidigen, anstatt zu kritisieren. Auch andere Figuren wie Scholz, Schröder und Nahles waren einst für ihre linke Haltung bekannt und wurden daraufhin Teil des SPD-Establishments. Es bleibt abzuwarten, ob Türmer einen vergleichbaren Weg einschlagen wird.