Libidoverlust und Antidepressiva: Was Betroffene wissen sollten

Libidoverlust und Antidepressiva: Was Betroffene wissen sollten

In Hamburg zeichnet sich ein zunehmendes Verständnis für die Ursachen von Libidoverlust ab. Wenn das sexuelle Verlangen sinkt, können dafür verschiedene Gründe verantwortlich sein. Ein Fachmann hat sich mit dem Einfluss von Medikamenten, insbesondere Antidepressiva, auf die sexuelle Lust beschäftigt.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass in langfristigen Beziehungen das anfängliche Verlangen nach Intimität nachlässt. Neben den natürlichen Veränderungen in der Dynamik einer Beziehung gibt es aber auch andere Faktoren, die das sexuelle Empfinden beeinflussen. Medikamente wie Antidepressiva sind bekannt dafür, nicht nur die Stimmung zu heben, sondern auch Nebenwirkungen mit sich zu bringen, die die Libido einschränken können. Einschließlich der geschätzten vier bis fünf Millionen Menschen, die jährlich in Deutschland an Depressionen leiden, sind Antidepressiva oft die erste Wahl zur Behandlung.

„Ein Verlust der Libido betrifft das sexuelle Verlangen und zählt zu den sexuellen Funktionsstörungen“, erklärt Michael Paulzen, ärztlicher Direktor und Chefarzt am Alexianer Krankenhaus Aachen. Er ist ebenfalls stellvertretender Sprecher für Psychopharmakologie in der deutschen psychiatrischen Gesellschaft.

Sexuelle Funktionsstörungen umfassen alle Symptome, die das Sexualleben beeinträchtigen. Die Ursachen dafür können sehr unterschiedlich sein: von gesundheitlichen Problemen über hormonelle Ungleichgewichte bis hin zu psychischen Erkrankungen oder dem Missbrauch von Drogen und Alkohol. Eine nicht zu vernachlässigende Quelle für solche Störungen sind auch Medikamente, unterstreicht Paulzen. Das Risiko für sexuelle Funktionsstörungen ist besonders hoch bei der Einnahme von Psychopharmaka, zu denen Antidepressiva, Antipsychotika und Stimmungsstabilisierer gehörten. Diese Medikamente wirken auf das zentrale Nervensystem und beeinflussen chemische Stoffe im Gehirn, die das sexuelle Verlangen regulieren.

Wie genau Antidepressiva die Libido beeinflussen, ist dabei komplex. Der Arzt erklärt: „Die Auswirkungen hängen von den spezifischen Wirkstoffen ab.“ Einige Antidepressiva wie Paroxetin können die Produktion von Stickstoffmonoxid im Körper negativ beeinflussen, was die Durchblutung und die sexuelle Erregung beeinträchtigen kann. Besonders trizyklische Antidepressiva, wie Imipramin oder Clomipramin, haben in diesem Kontext signifikante Nebenwirkungen.

Antidepressiva aus der Gruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSRI) fördern zwar die Serotoninproduktion, was oft zu einer besseren Stimmung führt. Allerdings können sie gleichzeitig das sexuelle Verlangen dämpfen, da sie die Freisetzung von Dopamin reduzieren – einem wichtigen Neurotransmitter für die sexuelle Lust.

Paulzen hebt hervor, dass SSRI häufig zu sexuellen Funktionsstörungen führen, wobei die Wahrscheinlichkeit etwa zwischen 30 und 80 Prozent liegt. Männer könnten von Ejakulationsverzögerungen betroffen sein, während Frauen Probleme mit dem Orgasmus haben können. Ähnlich riskant sind Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SNRI) wie Venlafaxin.

Trotz der weit verbreiteten Verschreibung von SSRI und SNRI ist die genauen Wirkung auf das Gehirn noch nicht vollständig erforscht. Angesichts der Tatsache, dass Depressionen selbst ebenfalls zu Libidoverlust führen können, ist eine klare Unterscheidung zwischen den Ursachen oft schwierig. In den meisten Fällen klingen die Nebenwirkungen nach dem Absetzen der Medikamente ab, jedoch berichtet Paulzen von Fällen, in denen sexuelle Funktionsstörungen auch Monate oder Jahre danach bestehen blieben.

Nicht alle Antidepressiva bringen dasselbe Risiko für sexuelle Beeinträchtigungen mit sich. So zeigen beispielsweise Mirtazapin oder Tianeptin eine vergleichsweise geringe Häufigkeit von Libidostörungen. Positives kann auch durch die Behandlung mit Bupropion auftreten.

Was aber können Betroffene tun, wenn sie sexuelle Schwierigkeiten nach der Einnahme eines Antidepressivums feststellen? Der Experte rät, sich an den behandelnden Arzt zu wenden und zunächst Geduld zu haben. In vielen Fällen lösen sich die Beschwerden innerhalb von sechs Monaten ohne Änderungen in der Medikation bei einer beträchtlichen Anzahl von Patienten.

Falls die Probleme dennoch bestehen, empfiehlt Paulzen einen Wechsel auf ein anderes Medikament unter ärztlicher Aufsicht. Dabei kann auch eine Dosisanpassung hilfreich sein. Unterschiedliche Medikamente innerhalb einer Gruppe, wie beispielsweise die SSRI, können auch unterschiedlich wirken, sodass ein interner Wechsel für viele Betroffene eine Lösung darstellen kann. Psychotherapeutische Hilfe könnte zusätzlich eine wertvolle Unterstützung bieten.

Wenn Sie nach der Einnahme von Antidepressiva einen Rückgang Ihrer sexuellen Lust bemerken, ist es unabdingbar, professionelle Betreuung in Anspruch zu nehmen. Nur ein Arzt kann die am besten geeigneten Schritte empfehlen, um mögliche Nebenwirkungen abzuschätzen und erforderliche Anpassungen vorzunehmen. Abgeraten wird jedoch davon, die Medikation eigenständig abzusetzen – dies könnte schwerwiegende Folgen haben, einschließlich eines Rückfalls in die Depression.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Berliner Morgenpost.

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