112-Peterson: Wie man die gegenseitige Anziehungskraft erhalten bleibt

Die gegenseitige Anziehungskraft ist nicht spontan, sondern muss kontinuierlich gepflegt werden. Viele verstehen das nicht, weil sie glauben, dass alle romantischen Interaktionen spontan geschehen sollten. Wer das denkt und verheiratet ist, kann gleich die Flinte ins Korn werfen.

Aus der Sicht von Jordan B. Peterson braucht man einen Partner, mit dem man diskutieren kann. Nicht zuletzt, weil wir alle mit Problemen zu kämpfen haben. Und wenn dann die Person, mit der man zusammen ist, nicht bereit ist, ihre Meinung zu äußern, hat man nur die Hälfte der kognitiven Kraft, die man sonst als Paar hätte. Man wünscht sich natürlich jemand, der auf interessante Weise anders ist als man selbst, aber nicht so anders, als dass man nicht miteinander kommunizieren kann. Daher sollte der Partner die Fähigkeit und den Willen haben, seine Meinung zu äußern. Denn dann bleibt unser Interesse geweckt, und eine gewisse Spannung in der Beziehung gewahrt.

Die meisten glauben ja, sie bräuchten einen Partner, mit dem sie sich perfekt verstehen. Aber im Grunde wollen sie das gar nicht. Denn dann würden sie sich nur langweilen und infolgedessen nach Streit suchen. In Wahrheit braucht man ein gewisses Konfliktpotenzial in einer Beziehung, ein bisschen Geheimnisvolles, ein bisschen Streitlust und die Fähigkeit, offen Meinungen auszutauschen.

Ganz abgesehen davon vertraue ich persönlich meiner Frau, was ein sehr wichtiger Faktor ist. Als wir uns schließlich entschlossen, dauerhaft zusammenzubleiben, waren wir beide Ende 20. Eines der Dinge, die ich bis dahin gelernt hatte und auf denen ich ihr gegenüber bestand, war, dass wir uns gegenseitig immer die Wahrheit sagen müssen. Und sie nahm das von ganzem Herzen an, in guten wie in schlechten Zeiten. Denn die Wahrheit kann hart sein.

Wenn mich meine Frau fragt, was ich von einem bestimmten Outfit halte, sage ich ihr auch, wenn es mir nicht gefällt. Das macht sie in diesem Moment nicht unbedingt glücklich. Aber wenn ich sage, dass es mir gefällt, weiß sie, dass ich es auch so meine. Und ich mag ihren Stil tatsächlich sehr, sodass es mir in 90 Prozent der Fälle ziemlich leichtfällt, zu sagen: „Ich finde, du siehst toll aus“, und das auch so zu meinen.

Umgekehrt hat sie auch ziemlich strenge Maßstäbe. Sie besteht beispielsweise darauf, dass ich mich in einer angemessenen körperlichen Verfassung halte. Das war etwas, worauf sie immer schon sehr viel Wert gelegt hat. Ich würde sagen, dass es mir genauso geht. Ich kann sagen, dass wir bis jetzt immer gut darin waren, zu verhandeln, also zu klären, was wir uns grundsätzlich voneinander wünschen. Was will man und was braucht man?

Natürlich ist das Wichtigste, dass man sich, wie ich schon sagte, gegenseitig anziehend findet. Ohne diese Grundlage ist es meiner Meinung nach sehr schwierig, eine Beziehung zu beginnen, fortzusetzen oder aufrechtzuerhalten. Aber wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, was will man darüber hinaus? Man will jemanden, dem man vertrauen kann, mit dem man eine Zukunft aufbauen kann, mit dem man verhandeln kann. Grundsätzlich ist es sehr schwer, mit Menschen zu verhandeln. Denn zunächst muss man einander sagen, was man denkt. Man muss wissen, was man will, oder es herausfinden. Und dann muss man dem anderen jeweils sagen, was man will. Dann muss man zufrieden sein, wenn man bekommt, was man will, was ebenfalls sehr schwer zu bewerkstelligen ist.

Und das alles muss natürlich ständig aktualisiert werden, weil das Leben verschiedene Phasen durchläuft.

Natürlich muss man auch daran arbeiten, dass die gegenseitige Anziehungskraft erhalten bleibt. Auch das verstehen viele nicht, weil sie glauben, dass alle romantischen Interaktionen spontan geschehen sollten. Wer das denkt und verheiratet ist, kann eigentlich gleich die Flinte ins Korn werfen. Oder ist nicht derart eingespannt, dass romantische Ausbrüche praktisch unmöglich sind.

Denn wenn man verheiratet ist, vor allem wenn man kleine Kinder hat und beide einen Job haben, ist man so beschäftigt, dass die Wahrscheinlichkeit, Zeit für spontane gemeinsame Interaktionen zu finden, gegen Null geht. Wenn Sie also darauf hoffen, werden Sie es niemals bekommen. Was Sie also tun müssen, ist, sich Zeit füreinander zu nehmen.

Wenn man sich in der Kennenlernphase verabredet und eine Beziehung aufbauen will, muss man sich schon Mühe geben. Man beschließt zum Essen auszugehen, zieht sich einigermaßen schick an und versucht, sich gegenseitig auf eine Weise zu präsentieren, die für beide Seiten halbwegs akzeptabel ist. Man hofft, dass dies positive Folgen haben wird, sodass man sich gegenseitig attraktiv findet.

Aber aus irgendeinem Grund glauben die Leute, dass nach der Heirat nicht mehr derselbe Aufwand notwendig ist. Und das ist falsch. Ich würde sagen, dass auf diesem Gebiet sogar mehr Aufwand notwendig ist. Das sollte man sich gut überlegen. Wenn also die intime Komponente Ihrer Beziehung kein Anlass zur Verbitterung sein soll, wie viel Zeit muss man dann jede Woche miteinander verbringen? Meine Faustregel, die ich aus klinischen Beobachtungen abgeleitet habe, lautet, dass Sie mindestens 90 Minuten pro Woche mit Ihrem Partner verbringen und miteinander reden sollten.

Das bedeutet, dass Sie sich gegenseitig von Ihrem Leben erzählen, damit jeder weiß, was der andere gerade macht. Dass Sie außerdem besprechen, was getan werden muss, damit der Haushalt reibungslos funktioniert. Außerdem legen Sie in diesem Zusammenhang eine für beide Seiten akzeptable Vision fest, wie die nächste Woche oder die nächsten Monate gemeinsam verlaufen sollen. So bleiben Ihre Erzählungen miteinander verflochen wie die Stränge eines Seils. Dazu braucht man 90 Minuten, sonst driftet man auseinander.

Außerdem sollten Paare mindestens einmal pro Woche, wahrscheinlich eher zweimal, intime Zeit miteinander verbringen. Auch das muss ausgehandelt werden. Denn wenn man es nicht aushandelt und zu einer Priorität macht, wird es höchstwahrscheinlich nicht passieren. Die Folge ist dann, dass intime Begegnungen nicht stattfinden.

Das ist eine Katastrophe, denn es gibt nicht gerade viele Dinge im Leben, die von Natur aus, wie soll man sagen, gleichzeitig spannend, bedeutungsvoll, angenehm und verbindend sind. Wenn man das aufgibt, dann stirbt ein Teil von einem selbst und ein Teil der Beziehung.

Außerdem besteht dann immer die Möglichkeit, dass man sich zu anderen hingezogen fühlt. Was eine logische Konsequenz ist, solange man noch etwas Lebensfreude übrig hat. Denn die Sache ist die: Wenn Sie letzteres nicht tun, wenn Ihre Beziehung zu Hause sexuell völlig unbefriedigend ist, welche Alternative bleibt Ihnen dann? Nichts? Sollen Sie es einfach ertragen? In gewisser Weise lautet die Antwort: „ Ja, denn es ist nun mal Ihre Ehe.“

Aber andererseits: Ist das alles, was Sie zu bieten haben? Wollen Sie einfach das erotische Element Ihres Lebens sterben lassen und alles akzeptieren, was damit einhergeht, weil Sie nicht bereit sind, ein bisschen Ärger zu verursachen, um sicherzustellen, dass es erhalten bleibt? Wir sind grundsätzlich nicht besonders gut darin, solche Dinge bewusst zu durchdenken. Denn Menschen sind einfach schlecht im Verhandeln, soweit ich das beurteilen kann. Aber sie sind besonders schlecht darin, Dinge zu verhandeln, die sehr privat sind. Wie viel möchten Sie Ihrem Partner überhaupt über sich preisgeben? Es erfordert viel Vertrauen, um ein echtes Gespräch darüber zu führen, was Sie brauchen und wollen.

Dies ist ein Auszug aus einem Video von Jordan B. Peterson.